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Der Ehrentag und das lebenslange Gefühl, übergangen zu werden

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Sie war 13 Jahre alt und heute war der Tag ihrer Konfirmation. Die Mutter hatte sie feingemacht, und sie fühlte sich furchtbar unwohl ihn dem tannengrünen Trachtenkostüm, das in einem renommierten Bekleidungsgeschäft im Stadtzentrum ausgesucht und gekauft wurde – natürlich ohne sie nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu fragen – wie immer. Da wurde auch für den wichtigen Tag der feierlichen Konfirmation keine Ausnahme gemacht. So trug die 13jährige an diesem Sonntag im späten März des Jahres 1973 ein Lodenkostüm mit Samtapplikationen an der Knopfleiste. „Wiener Werkstatt“ stand auf dem eingenähten Etikett, und unglückseligerweise war der Kleiderständer mit dem Kleidern und Kostümen dieses Herstellers als Blickfang für die Kunden direkt neben der Rolltreppe des Geschäfts plaziert worden. Die Mutter und ihre bis dahin noch hoffnungsvolle Tochter, die von einem der schicken, gerade modern gewordenen Hosenanzüge träumte, mussten an diesem Kleiderständer unweigerlich vorbei. Und jäh zerplatzte der Traum vom modernen Hosenanzug, denn ihre Mutter stand von jeher auf Trachten, Dirndl, Janker, gestickte Herzen und Blümchen, Rüschen und Schleifen.

So hatte dieses zarte junge Mädchen an diesem Sonntag Morgen das triste Trachtenkostüm aus dunkelgrünem Lodenstoff anziehen müssen, mit passender weißer Bluse, deren Knopfleiste mit weißen Spitzen und goldenen Messingknöpfen verziert war. Dazu trug es weiße Kniestrümpfe und schwarze Lackschuhe.

Aber das Kind tröstete sich damit, dass es von Mutter und Stiefvater flankiert, stolz zur Kirche gehen würde, alle zusammen, wenigstens dieses eine Mal. Sie würden sie zur Kirche begleiten, an ihren Platz geleiten vor aller Augen, als ihre Familie, denn heute, heute war ihr Ehrentag. I H R Ehrentag, und dafür ertrug sie auch die Enttäuschung, nicht in einem modischen Hosenanzug erscheinen zu können. Von der Mutter hatte sie bereits ein Geschenk bekommen, ein zartes goldenes Kettchen mit einem kleinen Herzen aus Gold daran. Stolz hatte sie es umgelegt und trug es nun, für jeden sichtbar, über der hässlichen Spitze der Bluse, die eher einer Frau reiferen Alters gebührt hätte als einer 13-jährigen. So präsentierte sie sich der Mutter und dem Stiefvater in der Erwartung, dass nun alle gemeinsam aufbrechen würden. Doch die Mutter stand noch vor dem Spiegel im Bad in einer Wolke von Haarspray und der Stiefvater war noch nicht einmal angezogen. „Geh‘ schon mal vor“, hieß es gleichmütig, „wir kommen dann nach!“

Noch nicht einmal an diesem wichtigen Tag war sie wichtig genug, bedeutsam genug, um von allen begleitet zu werden. Und sie hatte gelernt, dass es ihr nicht zustand, ihr Bedürfnis, ihren Wunsch einzufordern. Traurig, tieftraurig, schlich sie allein zur Kirche und sie fühlte einen großen Schmerz in sich.

Weshalb schreibe ich das?

Jahrzehnte nach diesem Ereignis fand die erwachsene Frau den Weg in meine Praxis. Ihr Problem war, dass sie ihr Leben lang übergangen wurde, ihre Umgebung nahm sie mit ihren Bedürfnissen, ihren Wünschen einfach nicht wahr. Mir zeigte sich eine gestandene Frau, selbstbewusst und erfahren, doch es gab scheinbar immer wieder Situationen in ihrem Leben, in denen trotz aller Notwendigkeit und Gebotenheit über sie hinweg entschieden wurde. Wo kam das her?

Nach der üblichen Einleitung in die Entspannungsphase tauchte die oben beschriebene Situation relativ schnell auf, als ob sie darauf gewartet hätte, sich endlich zeigen zu dürfen. Das war das Schlüsselerlebnis, das Erlebnis, das dafür ursächlich war, dass meine Klientin, ich nenne sie hier Elisabeth, immer noch nicht konsequent für sich einstand, trotz aller Kompetenz und Lebenserfahrung in den entscheidenden Momenten ihre Bedürfnisse nicht geltend machte. Über die Jahre entwickelte sich die Empfindung von “mit mir kann man es ja machen“, die sie ihr Leben lang begleitete und überdies ein Gefühl von Bitterkeit in ihr entstehen ließ.

Wie hat Elisabeth ihr Problem gelöst?

Sie hat sich in der Hypnose dafür entschieden, ihre Mutter in ihrer Vorstellung auftauchen zu lassen und sie zur Rede zu stellen. Die Mutter war kleinlaut, nahm ihre lange erwachsene Tochter in den Arm und entschuldigte sich bei ihr in aller Form. Der Stiefvater entschuldigte sich dafür, die kleine Elisabeth verprügelt zu haben dafür, dass ihre eigenen kindlichen Ansprüche und Bedürfnisse nicht erwünscht waren. Die erwachsene Elisabeth im Hypnosesessel forderte von beiden die Erlaubnis, zukünftig für sich eintreten zu dürfen, die sie auch bekam.

Damit war das Ursprungsproblem aufgelöst, und Elisabeth konnte die Befreiung bereits in der Hypnose spüren.

Nach der Exduktion (Auflösung der Hypnose) fühlte meine Klientin sich gelöst und befreit, und manchmal sehe ich es den Menschen auch an. „Sternkes inne Augen“ nenne ich diesen bestimmten Gesichtsausdruck, den man nur haben kann, wenn man sich von einem quälenden Gefühl endlich in Hypnose befreien konnte (Für „Nicht-Ruhrpottler“ übersetzt: Sterne in den Augen).

Wochen später bekam ich die erste Rückmeldung. „Mit mir kann man es ja machen“ gab es nicht mehr, und so war auch Elisabeths Verhalten. Sie sprach aus, was sie wünschte und sie duldete nicht mehr, wenn andere sich über sie hinwegsetzen wollten. Und sie fühlte sich stark dabei, stark und großartig.

Was genau ist dort in Hypnose geschehen? Warum konnte das so gut funktionieren?

Das und noch mehr beschreibe ich in meinem nächsten Blog am 28. Februar.

Freu‘ dich drauf!

Herzliche Grüße,

Martina Berkenkamp

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